Lange habe ich nicht benötigt, um meinen skurrilen Livestream der Woche zu finden. Und ich bin mir sicher, dass ich in dieser Woche auch keinen anderen Stream in dieser Form finden werde.
Es handelt sich um die „Vorberichterstattung“ live vom roten Teppich der „Goldenen Kamera“. Traditionell ist dies ein Stelldichein der deutschen Stars und ein paar eingeladenen internationalen Schauspielern. Man kennt es von den Oscars. Junge, hübsche Moderatoren/innen versuchen die Stars auf dem roten Teppich zu einem Statement zu bewegen. Das kann durchaus unterhaltsam sein. Also ging ich über whats live? am Samstag auf den Livestream aus Hamburg. Präsentiert von Vodafone.
Und ich gestehe – ich war fasziniert. Ähnlich fasziniert wie man bei einem Unfall auf der Autobahn nicht wegschauen kann, obwohl man es gar nicht sehen möchte. In der Übertragung traf ich auf zwei junge Frauen, Mitte zwanzig, und einen jungen Mann. Ich habe die drei Hanni, Nanni und Ken getauft.
Hanni & Nanni waren von ihrer Aufgabe schier „geflasht“. Mit Retromikrofonen am Kabel bewaffnet, mussten die armen Gäste an ihnen vorbei. Wobei ich mich fragte, für was die beiden überhaupt Mikros bekommen haben. Schafften es doch beide konsequent, das Mikro so weit weg zu halten, dass man den Befragten, wenn er denn antworten durfte, kaum verstand. Die Zwei Mädels haben zudem eine neue Technik erschaffen, um ein Interview zu beenden. Einfach das Mikro in der Antwort wegziehen und auf die nächste Person einreden. An einen jungen Mann, (ich gestehe, ich kannte ihn nicht), wurde die Frage gestellt: „Sag mal, du hast schon Kate Winslet gesehen. Wo war das?“ (wohlgemerkt „gesehen“, nicht etwa gesprochen, getroffen oder so ). Er hatte gerade vier Worte seines Abenteuers erzählen können, ehe er nicht mehr von Interesse war und sich die zwei auf eine andere, arme Seele stürzten.
Interessiert beobachtete ich die Lernkurve der „Modertoren“. So gaben sich Hanni & Nanni selbst Tipps wie z.B.: „Du musst dem Horst das Mikro hinhalten“. Als mal wieder zwei Promis wie begossene Pudel dastanden, wurden auch die Rollen aufgeteilt. „Unterhalt mal die Dame,…“, war eine charmante wie klare Aufforderung an Hanni, doch bitte auch was zur gepflegten Unterhaltung beizutragen. Die Stimmung bei Hanni & Nanni schien dramatisch zu kippen, als Hanni ein Selfie ins Netzt stellte und vergessen hatte, Nanni zu verlinken. Drama!
Ken machte seine Sache, als „rasender Reporter“, etwas besser. Er hatte sich genau zwei Fragen ausgedacht: Wir sind live auf YouTube. Schauen Sie manchmal YouTube?“ und „Auf was freuen Sie sich heute Abend?“. Egel wer kam, diese beiden Fragen mussten sein.
Aber wehe er weichte von seinem klaren Konzept ab. Klaus J. Behrendt stellte er die investigative Frage, ob er Vodafone kenne – ha, und stellen Sie sich vor, Herr Behrendt hat eine eigene VIP-Betreuerin bei Vodafone, die er sehr lobte. Till Schweiger sah man noch kurz aus dem Bild laufen, kommentiert mit den Worten „..er musste weg..“ (Wohin? Zum Bierfassanstich an die Bar oder ist er womöglich Telekom-Kunde?) . Doch zurück zu Hanni & Nanni. Nanni hatte mittlerweile ihr Smartphone mit einem Tablet getauscht. Sie überraschte das tapfere Publikum mit der Ankündigung: „Wir stellen so Lifestyle-Fragen“. Gespannte Erwartung: „ Bist Du ein Sommer- oder ein Wintertyp?“ Boah, das ist Lifestyle pur.
Petra Gerster schaffte es auch nicht an den beiden vorbeizukommen. Milde lächelnd blieb sie stehen und munterte die beiden auf: „Und eure Fragen?“. „Ich mache jetzt das erste Mal Moderation“ (ach was,..) „Haben Sie ein paar Tipps….“ (..), um dann auszuholen mit der Frage „ Können Sie sich an Ihre Anfangszeit erinnern?“ (meine Antwort wäre gewesen: „Ich bin ja nicht senil.“). Aber es kam wie es kommen musste – der nächste Promi nahte und Frau Gerster bekam das Mikro weggerissen. Sie fragte gar höflich, ob sie gehen könnte und bekam von Nanni die Antwort: „Geh ruhig was trinken, wir wollen Dich nicht aufhalten.“ (Fremdschäm-Moment).
Aber es geht noch „unbedarfter“. Die Regie spielte die Livebilder einer rothaarigen, gut aussehenden Frau mittleren Alters ein. Man hörte förmlich die Denkpause der beiden. Irgendein Redakteur im Ü-Wagen wird es ihnen „aufs Ohr“ gesagt haben. Julianne Moore, einer der Stargäste aus den USA, betrat den Teppich. Und was machen Hanni & Nanni, perfekt vorbereitet wie sie waren? Sie googeln erstmal nach, ob sie denn Nominierte ist oder schon Preisträgerin. Schließlich finden sie es – und tatsächlich, sie ist Preisträgerin (liebe Hanni & Nanni, wenn solch ein Star zu einem Deutschen Publikumspreis kommt, dann ist er/sie mit Sicherheit nicht nur nominiert – bitte, fürs Leben merken). Die etwas aufgeweckte Moderatorin hätte jetzt ein paar Filme und Rollen von Moore genannt. Auf jeden Fall, dass sie 2014 den Oscar für den Film „Still Alice“, in dem sie eine Alzheimer-Erkrankte spielte, bekommen hat. Das können sich auch Frauen mit Mitte 20, die ein IPad in ihrer Hand halten, merken oder ablesen. Nichts davon kam. Einzig die Frage: „Wie alt ist sie denn jetzt?“. An dieser Stelle musste ich unterbrechen und mir einen Schnaps holen, in der Hoffnung, dass Frau Moore eine Abkürzung in den Saal kennt, ohne den beiden zu begegnen.
Nach meiner Pause nahte zum Glück das Ende. Aber es fehlte noch Gerald Butler, ein weiterer US Superstar. Mir schwante schön böses und Hanni & Nanni enttäuschten mich nicht. Butler konnte Ken nicht ausweichen, der sich ein Herz ergriff und seine zwei Fragen auf Englisch stellte. Kommentiert mit den Worten von Hanni: „Ken, der Arsch, hat ihn“.
In diesem Sinne – ich freue mich auf den neuen, deutschen Moderatorennachwuchs. ( VH)
Wer sich das Ereignis anschauen möchte – bitte schön, steht ja auf YouTube: